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Oft stehen wir unserer Freude beim Tennis selbst im Weg. Wie wir sie wieder entdecken und viel intensiver erleben können.
Vor ein paar Tagen stieß ich auf die Geschichte von Leonid Stanislavskyi, er ist 97 Jahre alt und lebt in Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, die seit Kriegsbeginn immer wieder besonders brutale Bombardements erlebt. Stanislavskyi gilt als der älteste Tennisspieler der Welt, im Oktober des vergangenen Jahres trat er bei der sogenannten Super-Senioren-Weltmeisterschaft des Weltverbandes ITF auf Mallorca an – in der Altersklasse Ü90! Kurz danach wurde er durch die sozialen Medien berühmt. Videos zeigten ihn, wie er mit Rafael Nadal in dessen Akademie Bälle schlug. Die Welt war da noch eine andere. Was ich über Stanislavskyi erfahren habe, ist nicht viel – es reicht aber für eine Erinnerung daran, was wirklich zählt auf dem Court.
„Lasst uns leben und Tennis spielen.”
Trotz aller Grausamkeiten, die derzeit vor seiner Haustür geschehen, soll Stanislavskyi in Charkiw geblieben sein – zumindest schrieb das der Weltverband Anfang April auf seiner Website. Mit Mut und Trotz harre er in seinem Haus aus, in dem er seit 60 Jahren lebt. Es bedarf keiner ausgeprägten Empathie, um sich ausmalen zu können, was alle Menschen in der Ukraine angesichts der erbarmungslosen russischen Angriffe derzeit fühlen müssen – erstrecht aber Überlebende des Zweiten Weltkrieges, die schon einmal in tiefste Abgründe der Menschlichkeit haben blicken müssen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich das alles noch einmal durchmachen würde“, wird Stanislavskyi von der ITF zitiert. Und dann diese Sätze: „Wir müssen diesen Krieg beenden. Ich möchte Tennis spielen. Schande über den Krieg. Lasst uns leben und Tennis spielen. Ich muss meinen 100. Geburtstag erreichen.”
Beim Spiel den Zauber des Augenblicks genießen
Ein 97-Jähriger, gefangen in den Trümmern seiner Heimat, wo jeden Tag neue Raketen einschlagen, denkt in den dunkelsten Stunden auch an seinen liebsten Sport, ans Tennisspielen. Das ist irgendwie irritierend, aber vor allem faszinierend und herzzerreißend. Gibt es eine schönere Liebeserklärung an einen Sport? Tennis ist für ihn auf der Zielgraden seines Lebens zum Mittelpunkt geworden. Vielleicht, weil es sein Ventil ist, um sich selbst auszudrücken, sich lebendig zu fühlen, zu entdecken, was noch möglich ist, auch in seinem Alter. Beim Spielen den Zauber des Augenblicks zu genießen, an nichts zu denken, im Moment zu versinken, der sich am liebsten zu einer Ewigkeit ausdehnen möge. Die Zeit ist schließlich so wertvoll, so kostbar. Jeder einzelne Tag ein Geschenk. Sollte das nicht in jedem Alter so sein?
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Mich hat die Geschichte zu der Frage geführt: Mit welcher inneren Haltung würde ein Tennisspieler wohl den Platz betreten, wüsste er, dass es heute das letzte Mal ist? Wahrscheinlich ohne Zweifel an seinen Fähigkeiten, weil er für diese Gedanken keine Notwendigkeit mehr sehen würde. Er würde dem inneren Miesepeter auf den letzten Metern kein Gehör mehr schenken, weil ihn seine Meinung nicht mehr interessieren müsste. Nach einfachen Fehlern würde er sich nicht mehr schämen, nicht mehr beschimpfen, weil das Ergebnis gleichgültig wäre. Deshalb würde er auch nicht mehr ängstlich und angespannt über den Court schleichen, voller Furcht vor einer Niederlage. Ist ja ohnehin das letzte Mal, was soll’s also?
So spielen, als wär’s das letzte Mal
Ich glaube, er würde stattdessen einfach das Spiel genießen, vielleicht gemischt mit einer Portion Wehmut. Ganz ohne Verkrampfung würde er durchschwingen, bei jedem Schlag dieses satte Gefühl spüren, wenn der Ball auf die Schlägermitte trifft. Er würde bestimmt keinen Gedanken an etwas verschwenden, was für das Spiel unbedeutend ist. Gewiss würde er noch einmal alles hineinlegen in dieses letzte Mal, jedem Ball nachjagen, auch dem unerreichbaren. Er würde plötzlich so viel Liebe für seinen Sport empfinden, wie er es vielleicht noch nie getan hat. Da wäre aber auch Melancholie, Traurigkeit, Trübsal, weil Abschiede nun mal schmerzhaft sind.
Am Ende der Session würde er ausgepumpt vom Platz schlurfen. Vielleicht würde er stolz behaupten, dass dies die beste Einheit seines Lebens war, dass er nie so gut gespielt habe wie heute. Glücklich würde er sich nun fühlen, im Reinen mit sich und der Welt, wäre da nicht die Gewissheit über das Ende. Beim Gedanken daran, dass es nun vorbei ist mit diesem Sport, ein für alle Mal Schluss, würden vielleicht Tränen fließen. Ganz bestimmt aber würde er sich fragen: Warum, verdammt nochmal, erst jetzt so? Warum nicht schon viel früher?!
Mit Dankbarkeit und Demut
Ein lieber Kollege, den ich sehr mag und schätze, Hans Christian Meiser, hat vor einigen Jahren ein Buch veröffentlicht, das den Titel trägt: „Als wär‘s das letzte Mal – 24 Anregungen für ein todesmutiges Leben“. Meiser rät, sich öfter daran zu erinnern, dass wir alles irgendwann einmal zum letzten Mal machen werden. Wir sollten also mutiger und furchtloser sein, neugieriger auf das Unbekannte und vor allem dankbarer und demütiger für das Selbstverständliche, das nicht selbstverständlich ist. Denn meist wissen wir nicht, wann wir etwas zum letzten Mal tun dürfen.
Federer über die Freude am Tennis
Roger Federer sagte einmal: „Manchmal ist man einfach nur glücklich beim Spielen. Einige Leute, auch Medien, verstehen nicht, dass es okay ist, einfach nur Tennis zu spielen und es zu genießen. Sie denken, man muss alles gewinnen, es muss immer eine Erfolgsstory sein. Und ist das nicht der Fall, was ist dann der Sinn? Vielleicht muss man zurückgehen und überlegen: Warum habe ich angefangen, Tennis zu spielen? Weil ich es einfach mag. Es ist ein Traumhobby, das zu einer Art Beruf geworden ist. Manche Leute kapieren das einfach nicht.“ Ein Appell an die Freude am Tennis, der Aufruf eines 20 Grand Slam-Titel schweren Superstars, weniger an das Ergebnis zu denken und stattdessen mehr den Weg zu genießen. Wie ein Surfer, der auf die größte Welle wartet und nicht bloß mit einer kleinen Welle irgendwie den Strand erreichen will.
Gesunde Füße, unversehrter Boden
In den nächsten Tagen werde ich nach einigen Wochen Zwangspause endlich wieder auf dem Tennisplatz stehen. Könnte sein, dass es sich erst einmal hölzern anfühlt, es wäre keine Überraschung. Auch möglich, dass die Vorstellung, die mein Ego schon vor einer gefühlten Ewigkeit über das perfekte Spiel entworfen hat, wenig mit dem übereinstimmen wird, was mein Körper an diesem Tag imstande sein wird zu leisten. Aber das wird mich höchstens am Rande interessieren. Weil ich mich daran erinnern möchte, den Boden unter meinen Füßen bewusster spüren und dankbar dafür zu sein, dass diese gesunden Füße auf diesem unversehrten Boden laufen können. Ich werde zwischendurch an den Bällen schnuppern, wohin auch immer ich sie vorher befördert habe, weil ihr Duft so viele zauberhafte Erinnerungen in mir hervorruft. Es könnte schließlich das letzte Mal sein. Und ich werde an Leonid Stanislavskyi denken, dem ich wünsche, dass er bald wieder auf den Court zurückkehren kann und noch als 100-Jähriger Freude am Tennis haben wird.
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