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Die Mardy Fish Doku bei Netflix erzählt von Angststörungen und Depressionen als Folge psychischer Herausforderungen im Profisport. Ein beeindruckender Film, der unterstreicht, was wirklich zählen sollte im Leben…
Seit einigen Tagen läuft auf Netflix eine Dokumentation über den ehemaligen Tennisprofi Mardy Fish. Der Film unter dem Titel „Untold: Breaking Points“ erzählt die Geschichte des Mannes, der einst, 2011, die Nummer sieben der Weltrangliste war und der ein Jahr später bei den US Open mit Depressionen und einer schweren Angststörung zusammenbrach. Sie zeigt unverhohlen die Schattenseiten eines Profilebens, offenbart, wie psychisch herausfordernd und brutal der Sport zuweilen ist. Wie fremde Erwartungshaltungen zu den eigenen mutieren – und was passieren kann, wenn ein junges Talent erfahren muss, dass es in seiner Welt keinen Platz für Schwächen geben darf; dass Erfolg die Währung ist, an der sein Wert als Mensch gemessen wird; dass Siege und Niederlagen darüber bestimmen, ob er verehrt oder verachtet wird.
Fish und Roddick als Erben von Sampras und Agassi
Als sich Fish in seinen Teenager-Jahren in der berühmten Saddlebrook Academy in Tampa, Florida, zum Profi schleifen lässt, lernt er von seinen Coaches, dass mentale Stärke bedeute, niemals zu jammern, niemals zu klagen. Damals gehört er neben Andy Roddick zu den Juwelen des amerikanischen Tennisverbandes. Die Jungs entwickeln eine tiefe Freundschaft neben und eine erbitterte Rivalität auf dem Court. 1999 lebt Fish sogar für ein Jahr bei den Roddicks. Beide reifen eng verbunden wie zwei Brüder nebeneinander zu Erwachsenen. Die Erwartungen an beide Sunnyboys sind klar: Sie sollen die goldene Generation um Pete Sampras, Andre Agassi, Jim Courier und Michael Chang beerben. Jahrhundertspieler sollen sie werden. Eine Last, die tonnenschwer wiegt. Für Fish zu schwer.
Er muss schon früh gegen die Dämonen in seinem Kopf kämpfen, erlebt erste Panikattacken mit Todesängsten und entwickelt schwere Herzrhythmusstörungen. Fish unterzieht sich einer Operation, die seine Symptome zunächst lindert. Doch das Gedankenkarussell dreht sich weiter und immer schneller. „Ich kannte niemanden mit psychischen Problemen. Keiner konnte verstehen, was ich durchmachte“, erzählt er. Dann sagt er diesen Satz: „Ich hatte jahrelang gelernt, keine Schwächen zu zeigen. Darauf war ich stolz.“
Nach Jahren unterhalb der Wolkenkratzer hohen Erwartungen und im Schatten von Roddick, will Fish 2011 beweisen, dass auch er mehr kann als Mittelmaß. In der Saisonvorbereitung bolzt der Amerikaner Kondition wie niemals zuvor in seinem Leben. Die Fitness soll so etwas wie seine Lebensversicherung auf dem Court werden. Er verändert seine Ernährung radikal, reduziert sein Gewicht in zwei Monaten um 14 Kilo (von 92 auf 78). Am Ende seines erfolgreichsten Jahres qualifiziert er sich für das Saisonfinale der besten Acht. Bei seinem Blick zurück lassen Worte wie diese aufhorchen: „Ich tat alles, um endlich perfekt zu sein.“ Fish wirkt tatsächlich besessen von Erfolg und Bewunderung. Das Adrenalin scheint ihm aus den Ohren zu spritzen. Doch Freude und Leidenschaft strahlt er zu keinem Zeitpunkt aus.
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Im Jahr nach dem Höhenflug folgt der Absturz – mit vielen frühen Niederlagen und einem dramatischen Ende in Flushing Meadows. Fish plagen immer stärkere Angstzustände. Zunächst nur abseits des Platzes („Auf dem Court fühlte ich mich sicher.“), dann auch während der Matches. „Die Gedanken hatten mich voll im Griff“, erzählt er. Seine Innenwelt ist zerfressen von Verzweiflung. Im Achtelfinale von New York soll es zum großen Duell gegen Roger Federer kommen. Auf dem Weg zur Anlage sagt seine Frau Stacey zu ihm: „Du musst nicht spielen…“ Fish sagt die Partie ab, bricht unter Tränen zusammen. Es ist (vorerst) das Ende seiner Tenniskarriere – und der Beginn einer Höllentour. „Ich habe danach monatelang das Haus nicht verlassen, hatte die schlimmsten Gedanken.“ Er schluckt Medikamente, widmet sich aber auch der Meditation, jeden Tag.
Die Akzeptanz der eigenen Verletzlichkeit
Der Weg zurück in die Normalität ist steinig. Fish versucht es hier und da nochmal auf der Tour, doch für das große Comeback spielt der Kopf nicht mit. 2015 beendet er bei den US Open seine Karriere. Fünf Jahre später wird er Kapitän des amerikanischen Davis Cup-Teams – ein Ritterschlag für ihn. Er hat seine Psyche inzwischen besser im Griff. Sagt jedoch auch: „Es ist ein täglicher Kampf. Aber ich gewinne ihn.“
Mich hat beeindruckt, wie offen Fish heute über die schwierigste Zeit seines Lebens sprechen kann und welch‘ tiefe Einblicke in seine Seele er gewährt – nachdem er jahrelang geschwiegen hatte. Man ahnt, dass auch dies ein Teil seiner Therapie sein könnte. Die Erfahrung zu machen, dass einen die Akzeptanz der eigenen Verletzlichkeit in Wahrheit kraftvoller werden lässt, gehört vielleicht zu den lehrreichsten Erfahrungen des Lebens. Genauso wie die Erkenntnis, dass Gefühle wie Ängste und Selbstzweifel umso stärker werden, je mehr man sie bekämpft.
Was lernen wir aus der Mardy Fish Doku bei Netflix?
In einem Jahr, in dem der Fall von Naomi Osaka bereits für viele notwendige Diskussionen über die psychischen Herausforderungen im Profisport gesorgt hat, erinnert die Dokumentation wieder einmal daran, noch wachsamer durch die Welt zu gehen. Aufeinander achtzugeben. Lieber einmal mehr hinzuschauen. Fragen zu stellen. Zuzuhören. Darüber zu reflektieren, was wirklich wichtig ist. Sich den eigenen Problemen frühzeitig zu stellen, anstatt sie jahrelang zu verbuddeln. Am Ende bleiben drei Botschaften, die der Film zentimeterdick unterstreicht – auch, wenn ein paar Zeilen ihrer Tragweite nicht gerecht werden können.
1) Nichts ist wichtiger als Freude!
Was zählt am Ende des Lebens? Auf keinen Fall die Pokale in der Vitrine, auch nicht das Geld auf dem Konto, der Ruhm oder der Applaus der Gesellschaft. All das dient bloß dem Zweck, das Ego zu bauchpinseln. Beim Blick zurück geht es nur um darum: Wie viel Freude hattest du bei deinem Besuch auf diesem Planeten? Hast du nach deinem Herzen gelebt? Und kannst du Dankbarkeit empfinden?
2) Menschlichkeit – der Leitwert fürs Leben!
Ja, auch im Leistungssport oder der Geschäftswelt, wo Härte und Disziplin noch immer als wichtigste Tugenden gepredigt werden. Dabei schließt Menschlichkeit großartige Leistungen niemals aus. Im Gegenteil: Langfristige Erfolge resultieren immer aus Liebe und Leidenschaft. Nur wenn wir uns gegenseitig auf Augenhöhe begegnen, sind wir auch in der Lage, uns so zu unterstützen, dass wir alle unser gesamtes Potenzial entfalten können. Was es dafür braucht? Den Mut, zu Fehlern und Schwächen zu stehen. Mitgefühl für andere und sich selbst zu kultivieren. Und das Vertrauen in die Stimme des Herzens zu finden, das immer weiß, was richtig ist!
3) Keine Vergleiche – der Schein kann trügen!
Viele sehen nur die Erfolge anderer Menschen, den Glitzer und den Glamour. Sie träumen von einem Leben im Scheinwerferlicht. Wie es jedoch hinter der Fassade all‘ der scheinbar beneidenswerten Superstars aussieht, darüber denken nur wenige nach. Wie es ihnen wirklich geht, welche Ängste, Sorgen und Nöte sie quälen, die sie gekonnt zu verbergen wissen. All die dunklen Seiten bleiben meistens unsichtbar. Was entsteht, ist ein Bild, das mit der Realität wenig zu tun hat.
Neu war diese bewegende Story von Mardy Fish für mich nicht. Der Film hat mich trotzdem berührt und gefesselt. Er hat mich jedoch auch erschrocken und gleichzeitig hoffnungsvoll zurückgelassen. Hoffnungsvoll deshalb, weil ich mir wünsche, dass viele junge Sportler, Trainer und ehrgeizige Eltern diese Dokumentation anschauen – und daraus lernen.
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[…] Die Mardy Fish Doku bei Netflix – und was wir daraus lernen sollten… […]
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[…] veröffentlicht von Felix Grewe am 23. September 2021 3 […]