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15. Januar 2023Besuch bei Niki Pilic: 70 Jahre auf dem Court
Niki Pilic hat die erfolgreichste deutsche Tennisära als Davis Cup-Coach geprägt. Mit 83 Jahren gibt er im kroatischen Opatija noch immer täglich Training. Zu Besuch bei einer Legende.
Ich kenne Niki Pilic schon lange. Als Junior habe ich meine Ferien in seiner Münchener Tennisakademie verbracht, die inzwischen leider lange nicht mehr existiert, die Pilic aber noch heute als „die damals beste Akademie Europas“ bezeichnet. Es waren die schönsten Urlaube für mich, weil ich Tennis dort inhalieren konnte. An meine erste Trainingswoche auf seiner Anlage erinnere ich mich als wäre sie gerade gestern zu Ende gegangen. Dabei liegt sie bald 25 Jahre zurück. Ich war zwölf, in meinem Leben gab es zu dieser Zeit neben dem Court wenig andere Prioritäten. Die große Tour verfolgte ich schon so akribisch, als wäre ich ein Teil von ihr gewesen – obwohl ich davon immer meilenweit entfernt war. Die riesigen Fotos im Eingangsbereich der Akademie, auf denen Pilic die drei deutschen Davis Cup-Triumphe mit Boris Becker, Eric Jelen, Michael Stich, Patrik Kühnen & Co. feierte, zogen mich immer magisch an, am liebsten hätte ich sie von der Wand gerissen und mit nach Hamburg geschleppt.
Niki Pilic – der Preuße vom Balkan
Bei meinem letzten Aufenthalt in Oberschleißheim, inzwischen war ich 16 Jahre alt, stand ich sogar mit Novak Djokovic auf einem Court, der einige Jahre bei Pilic wohnte und sich von ihm zum Profi schleifen ließ. Er spielte grundsätzlich vorn auf Platz eins, dort gehörte er zweifelsohne auch damals schon hin. Ich ackerte mit meiner Gruppe auf dem hintersten Platz. War auch in Ordnung. Das Warm-up am Morgen absolvierten wir alle gemeinsam. Pilic, der von den Medien „Preuße vom Balkan“ getauft wurde, predigte mantraartig die Bedeutung von Disziplin. Wer zu spät erschien, musste von der Bank zuschauen – und später doppelt hart schuften. Ich kam nie zu spät. Djokovic sowieso nicht.
70 Jahre Tennisliebe
In meinen langen Jahren als Journalist auf der Tour habe ich Pilic immer mal wieder getroffen. Ich war nie sicher, ob er sich wirklich an mich als Schüler erinnern konnte, obwohl er es stets behauptete. Nie jedoch haben wir so lange miteinander gesprochen, wie bei meinem Besuch kürzlich im kroatischen Opatija, wo er seit acht Jahren lebt – und immer noch arbeitet! Wobei Arbeit nicht der passende Begriff sei, wie er meint. „Was soll ich sonst machen?! Tennis ist mein Leben!“, sagt er, der mit fast 83 Jahren (am 27. August feiert er Geburtstag) immer noch bis zu vier Stunden pro Tag auf dem Court steht und diesen Sport inzwischen seit 70 Jahren liebt.
Er bewegt sich langsamer als früher, geht auch etwas gebeugter – sonst hat er sich kaum verändert. Er spielt noch immer fiese Slicebälle mit Vor- und Rückhand und scheucht seine Spieler, einen zwölfjährigen Jungen aus Bayern und einen Siebenjährigen mit französisch-griechischen Wurzeln, der ein wenig an Gael Monfils erinnert und faszinierende Bälle fabriziert, obwohl er kaum übers Netz schauen kann, immer wieder von der einen Ecke in die andere. Dabei ruft er seine Kommandos über das Netz, mal auf Deutsch, mal auf Kroatisch, dann auf Englisch und auf Französisch, lässt hin und wieder jegliches Verständnis für Fehler vermissen und winkt auch mal frustriert ab, wenn der Nachwuchs nicht spurt. Aber er ist engagiert, mit dem Herzen bei der Sache. Er lebt Tennis mit jeder Faser seines Körpers – das spürt man.
Eine andere Definition von Arbeit
Zwar ist sein Training wenig kompatibel mit dem Inner Game-Ansatz, bei dem die Eigenwahrnehmung und das Lernen aus Erfahrung im Fokus stehen und nicht die technischen Korrekturen und Anweisungen eines Trainers. In anderer Hinsicht aber belegt Pilic trotzdem eine Menge von dem, was Tim Gallwey vor bald 50 Jahren entdeckte und in seinem Bestseller „The Inner Game of Tennis“ niederschrieb. Die Bedeutung von Leidenschaft etwa, von wahrer Freude, die eine Voraussetzung für beständige Spitzenleistungen ist. In Pilic‘ Leben greift nicht die klassische Definition des Wortes „Arbeit“. Seine Schaffenskraft, die bewundernswert stabil zu bleiben scheint, erwächst aus seinem Antrieb, sich durch seine größten Stärken auszudrücken, seine Fähigkeiten als Coach in die Tenniswelt zu tragen – und dabei zwar auch, aber nicht vorrangig nach Resultaten zu streben, sondern das Gefühl der inneren Erfüllung zu priorisieren.
Niki Pilic als „großer Lügner”
Pilic würde nicht mit jedem Talent arbeiten, erzählt er. Er suche sich aus, wem er seine Zeit widmen möchte. Der unbändige Wille eines Spielers zur Weiterentwicklung sei längst nicht das einzige Kriterium. Vielmehr sei es das gewisse Etwas, das schwer beschrieben und nur gefühlt werden kann, was Pilic sucht. „Manche Eltern bieten mir 200 Euro pro Stunde, damit ich mit ihren Kindern spiele. Aber es geht mir nicht ums Geld. Meine Zeit, die ich auf dem Court verbringen kann, ist kostbar. Ich will sie nicht für Geld verschwenden.“
Man könnte tagelang mit Pilic plaudern. Darüber, wie er die erfolgreichste Ära der deutschen Tennisgeschichte geprägt hat. Über seine Zeit als deutscher Davis Cup-Teamchef und die drei Titelgewinne (1988, 1989, 1993) in Göteborg, Stuttgart und Düsseldorf. Natürlich über Boris Becker und Michael Stich und darüber, wie er mit „großen Lügen“ beide Superstars für die Olympischen Spiele 1992 in Barcelona vereinte und sie zur Goldmedaille im Doppel führte. Zu Becker sagte er, Stich schwärme von ihm und seinem Return. Stich wiederum lobhudelte er damit, Becker würde ihn für seinen Aufschlag bewundern. Beides stimmte nicht.
Eine Uhr von Novak Djokovic
Auch über seine Verbindung zu den kroatischen Profis spricht er gern, vor allem über Goran Ivanisevic, der wenige Monate vor seinem Wimbledontriumph 2001, am Tiefpunkt seiner Karriere, bei Pilic in München auftauchte und neues Selbstvertrauen tankte. Am liebsten aber scheint er von Djokovic zu erzählen und davon, dass sein einstiger Schützling in seinen Augen zu wenig Wertschätzung für seine außerordentlichen Leistungen genießt. Beide stehen sich noch heute nah, Pilic trägt sogar eine Uhr am rechten Handgelenk, die ihm der Serbe geschenkt hat und die nicht nur schwer, sondern auch ziemlich teuer aussieht.
„Es gibt Tausende Geschichten“, sagte Pilic am Ende unserer langen Unterhaltung. Einige hat er erzählt. Sie werden Teil eines neuen Projekts von mir, das mir besonders am Herzen liegt, das lange durch meinen Kopf geisterte und jetzt endlich verwirklicht wird (mehr dazu schon bald). Die Grundlage dafür ist vor langer Zeit entstanden – auch in Oberschleißheim…
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[…] veröffentlicht von Felix Grewe am 16. August 2022 4 […]